Die Architektin in Deutschland und Großbritannien – ein Erfahrungsbericht

Einen Einblick in das Berufsleben in beiden Ländern zu gewähren, kann selbstverständlich keine objektive Beurteilung sein. Im Gegenteil, es ist eine sehr persönliche Sichtweise, die sich auf die berufsbildenden Institutionen, Architekturbüros und Projekte beschränkt, in die ich eingebunden war.

Ich bin zuversichtlich, dass meine Betrachtungen mehr als nur sachliche Informationen widergeben. Denn letztendlich geht es in der Architektur nicht nur um das Greifbare, sondern genauso sehr um persönliche Erfahrung.

Architektur - Studium

Als Deutsche mit Migrationshintergrund in zweiter Generation fühlte ich mich nie einem Ort oder Land besonders stark verbunden. Für mich war es wichtig, meinen eigenen Weg zu finden. Ich suchte daher die Flexibilität später einmal meinen Beruf dort ausüben zu können, wo es mich in Zukunft einmal hinziehen würde. Und in einer Welt, die immer näher zusammenrückt, war ich in meinen Zwanzigern nicht sicher, ob es das Land sein würde, in dem ich geboren wurde.

Ich studierte Architektur an der RWTH Aachen in Deutschland und verbrachte vier Auslandssemester an der Newcastle University in Großbritannien, um meinen britischen Abschluss (Part II) zu machen. Insgesamt benötigte ich für meine Ausbildung, die mich auch kurzzeitig nach Indien und die USA führte, sieben Jahre. Danach war es mir möglich, mich sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien als Architektin zu registrieren und auch in beiden Ländern diesen Beruf selbstbewusst auszuüben.

Erst wenn man seine Heimat verlässt, lernt man sie oftmals mehr zu schätzen und kommt zur Einsicht, dass es nicht nur einen, sondern verschiedene Wege gibt, die ans Ziel führen, die oft genauso gut und manchmal auch besser sind.

Man lernt gedanklich flexibel zu bleiben.

In Deutschland verlangt das Studium sehr viel Eigeninitiative, man wird förmlich ins kalte Wasser geworfen, dagegen in Großbritannien wird eher ein integrativer und übergreifender Lehransatz verfolgt. Da ich zu Beginn meiner Auslandssemester bereits drei Studienjahre abgeschlossen hatte, war ich sehr positiv überrascht, wie gut Studierende begleitet und betreut werden. Es war sehr einfach sich einzuleben. Die administrative Seite hingegen war kompliziert. Die Einschreibung beispielsweise war eine verworrene Angelegenheit, die sich über drei Tage zog. Im Vergleich dazu, dauerte sie in Aachen nicht einmal eine halbe Stunde.

Wegen der überschaubaren Größe des Studiengangs in Newcastle, war das Gemeinschaftsgefühl sehr stark. Für mich eine angenehme Abwechslung zum eher wettbewerbsorientierten Klima an der RWTH.

Weitere Unterschiede lagen in der Schwerpunktverteilung – im Vordergrund standen Entwurf und Theorie statt Baukonstruktion. Es ist jedoch anzunehmen, dass das verpflichtende Praxisjahr zwischen den beiden Abschlüssen (Part I und II) dies ausgleichen soll. Während mein technisches Wissen eher theoretisch war, hatten meine englischen Kommilitonen bereits weitgreifende Praxiserfahrung. Waren sie deshalb im Vorteil? Ich denke nicht, denn hier hat sich die in Deutschland übliche eigenständige Studienweise, als ebenso nützlich erwiesen.

Es war auch eine interessante Erfahrung, mit Kommilitonen und Tutoren über Entwürfe zu besprechen. Die Deutschen sind dafür bekannt, dass sie sehr direkt sind, während die Briten sich eher unaufdringlich geben. Offensichtlich führte dies zu einigen verwirrenden Situationen, in denen ich eine vermeintliche Anregung als solche hinnahm, obwohl es sich tatsächlich um eine Anweisung handelte.

Missverständnisse und Kommunikationspannen kommen in der Architektur leicht zustande, wenn es darum geht, Ideen und Konzepte zu vermitteln. Und für mich wurde klar, dass ich den kleinen, aber feinen Nuancen der gesprochenen Sprache noch mehr Aufmerksamkeit schenken musste. Der Einsatz von subtiler Mimik und Gestik in der indischen Kultur waren mir bereits von Hause aus geläufig, und ich merkte, dass auch das eine wertvolle Kompetenz war.

Man lernt zwischen den Zeilen zu lesen und für absolute Klarheit zu sorgen.

Architektur – Arbeitswelt

Noch vor Abschluss meines Studiums an der RWTH, trat ich in Deutschland einem kleinen Architekturbüro bei, dass sich vor allem auf kleinere Wohnbauprojekte konzentrierte. Ich sammelte sehr viel Erfahrung in der Erstellung von Bauvoranfragen, -anträge, Tekturen und Nutzungsänderungsanzeigen.

Ich hätte nie gedacht, dass sich dies einmal als so nützlich erweisen würde, als ich 2008 meine Stelle in London antrat. Aber es stellte sich heraus, dass dies dort meine erste Aufgabe war. Die zuständige Partnerin war sehr zuversichtlich, dass ich die Bearbeitung von weit über 60 Auflagen und Verpflichtungen des städtebaulichen Vertrags für einen umfangreichen Bauvorbescheid für ein Wohnumbauprojekt mit rund 550 neuen und 650 bestehenden Wohneinheiten selbstständig koordinieren konnte.

Die Grundlagen waren einfach zu erfassen und die im Studium erlernte Eigeninitiative, half mir, mich in die Verfahrensweise einzuarbeiten und die feinen Unterschiede im Baurecht zu recherchieren. Auch wenn ich mir meinem scheinbar „deutschen“ Gespür für Genauigkeit und Sorgfalt nicht wirklich bewusst war, hinterließ auch das genug Eindruck, so dass ich mich nachfolgend an mehreren Entwurfsprojekten und zuletzt hauptsächlich an großen Ausführungsprojekten engagierte konnte. In den letzten vier Jahren meiner Zeit in Großbritannien betreute ich diese als hauptverantwortliche Projektleiterin.

Man begreift, dass das Erstellen und Befolgen von Leitlinien, Prinzipien und Prozessen die Grundlage für alles ist.

Erfrischend ist die Tatsache, dass man aufgrund des hohen Anteils an europäischen und ausländischen Architekten, die in London beschäftigt sind (ca. 33%[1]), und einer im Vergleich zu Deutschland, kulturell vielfältigeren Bevölkerung, eine Vielzahl von unterschiedlichen Gestaltungsansätzen und -einflüssen vorfindet, und daran gekoppelt auch eine stark ausgeprägte Leistungsbereitschaft. Die Begründung ist sehr einfach. Wenn man seine Komfortzone ganz bewusst verlässt, sprich Gemeinschaft, Heimat und/ oder Familie, dann weil man Träume und bestimmte Ziele vor Augen hat, die man sich erfüllen und erreichen will.

Dieses dynamische Umfeld bietet grundsätzlich mehr Möglichkeiten, sei es Netzwerken, Bauherren Akquise, Wissenserweiterung, oder die Entwicklung mutiger Entwurfskonzepte. Das Personal ist oftmals jünger, eifrig und bemüht von erfahrenen Führungskräften zu lernen. Die Architektur -und Baubranche ist daher auch offener für Veränderung und in Bezug auf Strukturen flexibler aufgestellt. Und tatsächlich muss sie es auch sein, da sie sonst nicht in der Lage wäre, mit den ständigen Veränderungen Schritt zu halten. Geschlecht und Herkunft spielen in der Architekturbranche eine geringere Rolle, obwohl sie leider noch nicht ganz irrelevant sind. Die kulturelle Vielfalt der Bauherren, Fachplaner und Kollegen wurde für mich zur Selbstverständlichkeit.

Man begreift, dass Selbstmotivation der Schlüssel zur Weiterentwicklung ist.

Eigeninitiative ist natürlich wichtig, wenn man die nächste Stufe auf der Karriereleiter anvisiert. Aber aufgrund der hochmotivierten Architekturbranche in Großbritannien und speziell in London, gibt es dort jedoch viel mehr Möglichkeiten, sich bereits zu Beginn seiner Laufbahn Fachwissen und Erfahrung anzueignen. Zweifellos hat sich dies als sehr nützlich erwiesen, als ich zurückkehrte.

Nach meiner Rückkehr nach Deutschland vor vier Jahren, habe ich bei Chapman Taylor mein neues architektonisches Zuhause gefunden. Und was besonders erfreulich ist, ist die Tatsache, dass diese globale Organisation Vielfältigkeit lebt – seien es die unterschiedlichsten Projektarten, die interkulturelle Kollaboration mit seinen internationalen Partnerstudios, oder die Offenheit verschiedenste Kulturen in seinen Studios zusammenzuführen, z.B. sind allein am Standort Düsseldorf unter den ca. 40 Mitarbeitern 12 Nationalitäten und Sprachen vertreten.

Die Geschäftsführer vertrauten darauf, dass ich meine Sozialkompetenz anwenden und meine Kernkompetenzen abstrahieren würde, um mich in die deutschen Regularien und Vertragsordnungen zügig einzuarbeiten. Rückblickend, war es ein relativ reibungsloser Übergang und es fiel mir leicht wieder in die Rolle des deutschen Architekten zu schlüpfen, und zuletzt auch die Fertigstellung eines hoch-komplexen Mischnutzungsprojekts mit meinem Team zu feiern.

Man begreift, dass Lebenserfahrung mindestens genauso wichtig ist wie Fachwissen.

Egal, wo man arbeiten möchte, man darf die Notwendigkeit, die einheimische Sprache zu sprechen, nicht vernachlässigen. Man kann ein noch so guter Meister seines Fachs sein, letztendlich sind Möglichkeiten des Bauherrenkontakts eingeschränkt, wen man sich nicht verbal ausdrücken kann. Daher kann ich allen, die im Ausland arbeiten möchten, nur empfehlen, nicht nur an den eigenen Fähigkeiten als Architekt/in, sondern auch als effektive/r Kommunikator/in zu feilen.

Die Rolle des Architekten im Bauwesen

In Deutschland sind Architektenverträge Werksverträge, welche ergebnisorientiert sind. Der Architekt verspricht also ein vollständiges Werk mit einem bestimmten Endresultat herzustellen. Die Konsequenz ist eindeutig – z.B. wird die Erstellung von Nachforderungsunterlagen zur Erlangung der Baugenehmigung nicht zusätzlich vergütet. In Großbritannien hingegen, ist es üblicher, Beauftragung für vereinbarte Leistungen zu erteilen, die nach Erbringung, unabhängig von ihrem Erfolg, honoriert werden.

Ebenso ist es wichtig zu wissen, dass in Deutschland, die Koordination der Fachplaner Aufgabe des Architekten ist. Und sofern er als Generalplaner beauftragt ist, trägt er auch die alleinige Verantwortung für die Gesamtplanung. Der Architekt ist daher der Hauptansprechpartner des Bauherrn. Er berät über die Kosten von der ersten Machbarkeitsstudie bis hin zur Fertigstellung. Er prüft und berät zu Planungsanforderungen. Die Ausschreibung erfolgt durch den Architekten und die Architektenpläne enthalten die koordinierten Planungsinformationen aller relevanten Fachplaner. In Summe bedarf die Projektleitung eines weitaus tiefergehenden Verständnisses aller Aufgabenbereiche eines Architekten, nicht nur der Kernkompetenz in Entwurf und Konstruktion.

Man erkennt, dass interdisziplinäres Verständnis von grundlegender Bedeutung ist.

Speziell unter den in Großbritannien vorherrschenden sogenannten „Design & Build“ Verträgen (in Deutschland auch als „partnerschaftliches Bauen“ bekannt), ist der Architekt, auch wenn er als leitender Fachplaner bezeichnet wird, vertraglich gesehen nur für seine eigenen Leistungen verantwortlich. Auch wenn also natürlich fachplanerische Koordination stattfindet, obliegt es dem verantwortlichen Fachplaner kritische Aspekte zu lösen.

Die Aufteilung traditioneller Architekturleistungen in eigenständige fachplanerische Leistungen hat sich in der Tat so weit entwickelt, dass der Titel „Architekt“ geschützt ist, jedoch, aber im Gegensatz zu Deutschland, die Funktion nicht mehr. Das bedeutet unter anderem, dass es theoretisch jedem möglich ist, Unterlagen für einen Bauantrag zu erstellen und einzureichen, solange diese den baurechtlichen Anforderungen entsprechen. Durch die hierzulande geschützte Funktion können sich somit mehr gewinnbringende Aufträge ergeben, es bedeutet aber auch, dass der Architekt für die Einhaltung aller Vorschriften sorgen muss und die volle Haftung übernimmt, und damit eine entsprechend höhere Haftpflichtversicherung aufnehmen muss, was insbesondere für kleinere Unternehmen besonders schwierig ist.

Natürlich spiegelt sich eine geringe Haftung auch im Honorar wider, jedoch ist es auch notwendig zu bemerken, dass Architektenhonorare in Großbritannien nicht reguliert sind. Während britische Architekten die Möglichkeit haben, ihre Honorarangebote dem Markt anzupassen, bedeutet dies auch, dass in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten, wie in der jüngsten Wirtschaftskrise zwischen 2009-2011, Angebote auf solch niedrige Niveaus gesenkt werden, dass sie kaum ausreichen, um ein Büro wirtschaftlich zu führen. Deutschland dahingegen konnte sich bisher auf die HOAI berufen, welche die Mindest – und Höchstvergütung für Architekten und Ingenieure nach Leistungsumfang regelt. Zwar hat das EU- Gericht kürzlich verkündet, dass die HOAI in Bezug auf die Mindest- und Höchstsätze nicht mit dem geltenden EU-Recht vereinbar ist, dennoch dient sie weiterhin als Leitfaden für einen mittleren Honorarwert. Es bleibt abzuwarten, ob und wie die HOAI an das EU- Recht angepasst werden kann.

Man erkennt, dass der Umfang von Architektenleistungen von Land zu Land sehr unterschiedlich ausfallen kann.

Während Großbritannien nun dem Brexit entgegen geht, hat RIBA[2] bereits die vielfältigen Auswirkungen des Austritts Großbritanniens aus der EU auf die Architekturbranche untersucht[3]. Ein Punkt, der für mich hervorsticht, ist, dass die Untersuchungen auch ergeben haben, dass Architekturbüros es als schwieriger empfinden europäische Architekten zu werben bzw. zu halten. Es birgt ein großes Risiko den Zugang zu Fachkräften aufrechtzuhalten. Dieses Problem nach dem Brexit zu überwinden, besteht z.B. darin, die gegenseitige Anerkennung der Berufsqualifikation sicherzustellen. Denn schließlich, hat mir die Möglichkeit in beiden Ländern zu studieren und zu arbeiten definitiv geholfen meine Fähigkeiten auszubauen. Es ist eine unbezahlbare Erfahrung, die sich zweifellos als vorteilhaft für meinen damaligen wie aktuellen Arbeitgeber erwiesen hat.

Man erkennt, dass Grenzen von Menschen gezogen werden. Teste sie, um deine eigenen Grenzen zu finden.

f Umfrage des Dezeen magazine (2017)

[2] RIBA – Abkürzung für Royal Institute of British Architects - Mitgliederorganisation

[3] RIBA Global by Design 2018 Report

Leenete Tazhicherry (Dipl -Ing Architektin BArch (Hons))

ASSOCIATE DIRECTOR, DÜSSELDORF

Leenete studierte an der Newcastle University in Großbritannien und an der RWTH Aachen in Deutschland. Nach ihren erfolgreichen Studienabschlüssen, begann sie ihren beruflichen Werdegang in London, wo sie weitreichende Erfahrung im Bereich Wohnungsbau sammelte. Sie leitete dort Projektteams in der Werks- und Ausführungsplanung, bevor sie 2015 zu Chapman Taylor nach Düsseldorf wechselte.

Leenete entwickelte zunächst die Leitdetailplanung für die Fassade des Plaza Grafinger Straße in München, bevor sie später die Projektleitung für dieses Multifunktionsgebäude übernahm. Daneben betreute sie auch die Projektteams für die Planung des Einkaufszentrums Salzach Forum in Burghausen und die Revitalisierung des Krohnstieg Centers in Hamburg.

Sie hat zudem eine Schlüsselrolle in der Entwicklung neuer CAD-Standards und der Rationalisierung der Datenstrukturen im Düsseldorfer Büro.

Seit 2018 ist sie Associate Director in unserem Düsseldorfer Büro.

Schwerpunkte:

Wohnungsbau / Einzelhandel / Entwurfsplanung/ Ausführungsplanung

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